Meine Motivation für diesen workshop.
Ich bin seit 20 Jahren Aufnahmeleiterin in der Film- und Fernsehbranche.

Zweieinhalb Monate bevor im Oktober 2017 der erste Artikel über Harvey Weinstein in der New York Times erschien, stand ich nachmittags in unserem Produktionssekretariat im Gespräch mit unserer Produktions-Assistentin und der Praktikantin.

Aufgabe der Praktikantin war es, u.a. Pakete, Sendungen an die Kollegen weiter zu leiten. Im Sekretariat wurde ein großes Paket für den Szenenbildner abgegeben. Dieser kam gerade vorbei und merkte an, dass die Sendung eigentlich in sein Auto müsse. Für unsere Praktikantin war Hilfsbereitschaft ein Mittel, um ihre große Motivation zu zeigen. Also bot sie sich an, das Paket zum Auto zubringen. In ihrer – übermäßigen – Hilfsbereitschaft fragte sie auch noch, ‚ob er das Paket hinten oder vorne im Auto abgestellt haben will?’. Der Szenenbilder mustert die Praktikantin schnell von oben bis unten und antwortete: ‚Dich nehm’ ich von hinten’.

Vor einigen Jahren habe ich ein Stressreduktions-Achtsamkeitstrainig gemacht. Mit dabei war Julia. Ärztin an einem Krankenhaus. Ihr Stress, den sie abends in Wollsocken auf einer Yogamatte mit kleinen Filzbällen, die wir uns gegenseitig zuwarfen, abbauen wollte, war: Ihr Oberarzt.

Julias Arbeitstag bestand u.a. aus der Visite aller Patienten im Team mit anderen Ärzten. Anschließend erfolgte die Auswertung der vorgeschlagenen Therapien in der Besprechung unter den ÄrztInnen. Julias fachliche Einwände wurden vom Oberarzt regelmäßig kommentiert: ‚Ach unsere Kleine, wieder zu sensibel für ....’

Vor gar nicht allzu langer Zeit arbeitete ich mit einem Kollegen, der nach Terminen, die wir mit Gesprächspartnerinnen hatten, diese ausnahmslos ‚bewertete’: ihre Attraktivität, äußeren Reize, sowie ihre Chancen ‚auf dem Markt’.

Zufrieden über den Erfolg unserer Verhandlungen mit der Berliner Verwaltung, ging ich mit meinem Kollegen durch das Rathaus zu unserem Auto. Es ratterte in meinem Gehirn wie viele Sorgen es nun weniger gab und der Durchführungen der Dreharbeiten nun weit weniger im Weg stand, als noch vor einer Stunde. Mein Arbeitskollege ‚fand ihre Maniküre ‚rattenscharf’’ leitet davon ihre Qualitäten beim Sex ab; fand ebensolche Bewertungen über ihre Lippen und ihre Kleidung und kam zu dem Schluss, dass ‚sie eine echte Granate im Bett sein müsste’. Situationen dieser Art begleiteten mich während der gesamten Dauer unserer Zusammenarbeit, nach jedem Termin mit einer Frau. Bis ich intervenierte.

Auswertung nach einer Bewerbungsrunde. Wir hatten mit vier BewerberInnen Gespräche geführt, gesucht wurden PraktikantInnen für die Aufnahmeleitung am Drehort. Zurück in unserem Büro wollten meine Kollegin und ich auswerten, uns entscheiden.

Die einzige Bewerberin hatte uns sehr durch ihre Eloquenz und Neugier eingenommen. Sie war initiativ, strahlte Tatkraft aus. Das gefiel uns gut, darüber hatten wir uns schon zwischen den einzelnen Gesprächen verständigt. In der Auswertung aller Gespräche begründete ich meine Entscheidung noch einmal. Meine Kollegin entschied sich ebenfalls für die Bewerberin: ‚Wir nehmen das junge Mädel, da haben die Männer am Set was zu gucken’.
In der Ausarbeitung meines Workshops kamen mir immer wieder neue, alte Erinnerungen aus meinem 
Berufsalltag zurück. Manche sind noch gar nicht solange her.

Durch #metoo ist eine größere Sensibilisierung, mehr Verantwortungsbewusstsein bei den Arbeitgebenden entstanden. Übergriffigkeiten werden ernster genommen, es gibt nun Kontaktpersonen, an die man sich vertrauensvoll wenden kann. Die Bereitschaft Übergriffigkeiten zu ahnden ist größer geworden. Das ist gut so.

Aber es gibt auch die Grenzüberschreitungen, die ebenfalls unter der Gürtellinie liegen, die nicht unbedingt 
das Etikett ‚sexistischer Übergriff’ tragen. Es gibt die alltäglichen ‚dummen Sprüche’. Die aber eine klare, 
zeitnahe und unmissverständliche (und gerne auch mit Humor) Entgegnung erfordern.

Der Arbeitsalltag prägt unsere Leistungsfähigkeit, unsere Motivation, wie sehr wir uns einbringen in unseren Teams. Bei unangemessenen verbale Attacken, fangen wir an uns mit Problemen zu beschäftigen, die das Potenzial haben größer und beständiger zu werden. Und uns sowohl den Spaß, die Freude, aber auch unsere Energie rauben, das zu tun wofür wir fachlich qualifiziert sind. Wir beschäftigen uns mit ‚dem Idioten’ weit mehr als uns lieb’ ist und schaden uns damit nur selber.
 
Also eine Abwärtsspirale und die Verlagerung unseres Potenzials auf Kriegsschauplätze, statt frank und frei und mit Freude das zu tun, wofür man eigentlich da ist.